Wir sind Aliens

Wir befreien uns aus den Klauen unserer Gastgeber und steuern auf eine hoch in den Bergen gelegene Mineralquelle in Kandovan, um einerseits unsere Wasserkanister zu füllen und uns andererseits auf 2200 Metern Höhe etwas abzukühlen. Und wieder werden wir umgarnt, reißt sich die ganze Familie um unsere Tochter und werden wir zum Bleiben in einem der zahllosen schattigen Picknickplätze aufgefordert. Bei Tee, Essen und Wasserpfeife zeigt uns der Onkel der Familie alte persische Musikvideos auf seinem Handy und schwärmt vom Tanzen und Feiern vor der Islamischen Revolution.

Als wir aufbrechen, halten wir gleich wieder an und legen den Rückwärtsgang ein, denn unter dem Einheitsbrei des iranischen Fahrzeugsortiments hat sich ein fremdes, gewaltiges Wohnmobil gemischt. Die beiden Franzosen sind seit 4 Jahren (!) mit ihren 4 Kindern (!) in der ganzen (!) Welt unterwegs. Sie berichten von den gerade durchlebten Strapazen in Indien und von dem Glück nun hier zu sein. Auch sie unterrichten ihre Kinder unterwegs und halten ihre Erlebnisse in einem Blog fest. Wir verbeugen uns innerlich vor Ihnen.

Die Nacht verbringen wir endlich einmal wieder allein am idyllischen Ufer des Zarrine, nicht um zuvor wieder von den einzigen Anwesenden auf ihre Decke eingeladen zu werden. Es sind zwei Männer mit ihren Frauen. (Bei uns würden wir vielleicht von zwei Paaren reden. So stark, aber subtil werden wir von der ausgesprochen patriarchalischen Gesellschaftsordnung manipuliert.) Die beiden sind Polizisten und bieten Niklas Alkohol an. Wir rufen in Erinnerung, dass Alkohol verboten ist und sein Besitz sehr streng bestraft wird. Die Situation ist zu skurril. Niklas lehnt ab.

Seit einer Woche sind wir nun schon im Iran unterwegs, seit zweieinhalb Monaten auf Achse und seit circa 3 Monaten von unserer Festwohnung getrennt. Wir werden mit immer neuen Situationen konfrontiert. Währungen, Sprachen, Kleiderordnung bei extremen Temperaturen, Nahrungsbeschaffung, Kinderunterhaltung sind einige Stichworte. Aber unser größtes Problem ist, dass uns unser einjähriges Kind nicht durchschlafen lässt. Gegen die permanente Müdigkeit können wir nicht viel ausrichten. Besonders bei nächtlichen Fahrten wird Niklas von Nikita gewaltsam zum Wachbleiben animiert (Schlag auf den Hinterkopf). Wie sie selbst wach bleibt ist ein Rätsel. Und auch ständig zusammengepfercht sein, den Anderen nicht einmal aus dem Weg gehen zu können, ist sehr anstrengend. Unsere Laune ist nicht das erste Mal auf einem Tiefpunkt.

Zurück auf die Straße und von da aus direkt an den Zendan-i Sulaiman (Zendan-e Soleyman), das Gefängnis des Salomo. Hier hat aus dem Erdinnern aufsteigendes kalkhaltiges Wasser über Jahrmillionen einen 110 Meter hohen Kalkkegel aufgebaut. Ein Erdbeben hat das Gestein reißen und den Kegel auslaufen lassen. Zurück bleibt ein 70 Meter breites und 100 Meter tiefes Kraterloch mit senkrecht abfallenden Wänden. Einfach schwindelerregend. Im 3 Kilometer entfernten Tacht-e Sulaiman (Takht-e Soleyman), dem Thron des Salomo, ist das Wasser noch da, bildet aber ein Plateau, keinen Bergkegel, so dass dieser Ort in der Vergangenheit die ideale Grundlage für Festungen, Paläste, Schlösser und religiöse Zeremonien bot.

Wohin wir auch kommen, erregen wir Aufsehen und Neugier bei den verschiedensten Menschen. So auch in Sanandadsch (Sanandaj), wo wir von einem Schwulen angesprochen werden. Aktive Homosexuelle im Iran werden mit der Todesstrafe bestraft. Von seiner Familie, insbesondere von seinem Vater wird er verleugnet. Weil er keinen Wehrdienst geleistet hat, bekommt er keinen Reisepass, um immerhin die Ausreise in ein anderes Land versuchen zu können. Immer mehr Iraner bekommen mittlerweile die Einreise in ein westliches Land verweigert. Der Wehrdienst geht zwei Jahre lang. Für einen Schwulen ist er sehr riskant. Wie sehr wir für ihn eine wage Hoffnung oder Trostsuche sind, wird uns klar, weil er schon am Abend zuvor Kontakt zu Nikita aufnahm und leidenschaftlich einen Song von Michael Jackson interpretierte, dann von der Polizei von uns fern gehalten wurde und tags darauf mit Tränen in den Augen all dies erzählte. Zu keiner Zeit fühlen wir uns von ihm belästigt. Und überhaupt fühlten wir uns noch nie von den Iranern belästigt. Diese Menschen sind bei ihrer Kontaktsuche zwar sehr euphorisch, aber auch respektvoll, mitunter sogar demütig. Bei der Verabschiedung kann er seine Tränen nicht mehr verbergen. Wir machen uns Sorgen.

Wir sind jetzt in Kordestan. Der Großteil der hier Lebenden sind Kurden. In der Hauptstadt Kermanschah wollen wir die Nacht auf einem großen befahrbaren Parkgelände direkt neben einem Kinderspielplatz verbringen, der unweit des Reliefs von Taq-e Bostan ist. Für uns alle ist das Relief aber etwas langweilig und wohl nur für Geschichts- oder Kunstkenner interessant. Im Park zurück verhängen wir erstmalig den großen Schiebetüreingang und die geöffneten Fenster mit leichten Stoffen, um Luft rein aber neugierige Blicke draußen zu lassen. Trotzdem fühlen wir uns unwohl, weil wir ständig Angst haben, dass uns doch jemand halb nackt (anders ist es nicht mehr auszuhalten) im Wohnmobil sieht. Die Kinder und Jugendlichen, die wir ständig verscheuchen müssen, geben uns Anlass dazu.

30 Kilometer weiter westlich, entlang der alten Königsstraße, die die hochentwickelten Kulturen des Zweistromlandes mit dem iranischen Hochland und Zentralasien verband, wollen wir uns das Relief des Darius anschauen. Was der Stein von Rosetta für die Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen bedeutet, ist die dreisprachige Tafel für die Entzifferung der Keilschrift.

In der schattenreichen Oase, die sich vor den steilen Felshängen gebildet hat, treffen wir auf eine Militärtruppe im Beisein eines jungen Geistlichen. Etwas eigenartig ist die darauf folgende freundliche Geste des Mullahs sich mit uns fotografieren lassen zu wollen. Vielleicht hat er sich mit uns in den Vordergrund seiner Truppe spielen und seine Offenheit demonstrieren wollen. Vielleicht hat er seinen Männern zeigen wollen, dass sie ihre Neugier auf uns in seiner Gegenwart nicht zügeln müssen. Wir wissen es nicht – wie so oft und so vieles, wenn wir allein sind.

Wir flüchten ins Auto. Nur raus aus dem heißen Tal. Jeder gewonnene Höhenmeter auf unserem Navi wird von Niklas am Außenthermometer überprüft und gefeiert, jeder verlorene aber ganz still hingenommen. Und während unser großes Kind seinen Spaß bei „Ice Age“ hat, turnt unser jüngstes auf dem Schoß seiner Mutter, die gedanklich schon viel weiter bei etwas viel Besserem ist.

Unsere Gedanken kreisen um eine Frage: Wo finden wir einen natürlichen Schutz vor Sonnenstrahlung und Hitze?

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